Brunswick, Therese (1775-1861)
Wer war Therese Brunswick?
"Ein
Stern von seltenem
Glanz am Himmel unserer
Frauenwelt", den der Schöpfer "bei guter Laune unserem lieben Vaterland
schenkte..." Nach Klára Lővei wirkte sie
"edel, selbstlos wie eine wahre Patriotin, wie eine wahre
Christin, die selber die Güte und Liebe in Person war..."
Gräfin
Therese Brunswick (1775-1861), eine Apostolin' der Erziehung, eine
Bahnbrecherin der Mädchenerziehung ist gleichzeitig eine frühe
Vorläuferin des Kinderschutzes und als Gründerin der ersten
Kleinkinderschulen (infant schools, Kinderbewahranstalten')
Mitteleuropas, eine der hervorragendsten Frauengestalten unserer
Vergangenheit.
Die
Historiographie gedenkt heldenhafter Frauen, die "aus
Vaterlandsliebe oder aus Not den Rahmen des Lebens der Frauen
verließen und es mit den Männern aufnahmen". Die
Geschichtsschreibung bewahrt aber auch das Andenken jener namhaften
Frauen, die als Frau Großes geleistet haben: Beispiele für eheliche
Treue, Mütter, die für das Vaterland hervorragende Söhne erzogen,
christliche Tugenden in Person, Mäzene von Druckereien,
Wissenschaftlern, Schriftsstellern, Patroninnen von Schulen,
ausgezeichnete Pädagogen usw.
Unter
letzteren kommt Therese Brunswick - ein ergreifend schönes Beispiel
einer geistigen Mutter - ein ausgezeichneter Platz zu: sie, die keine
leiblichen Kinder hatte, war ihr ganzes Leben lang bestrebt, "die
Sprößlinge des Landes zu schützen und den göttlichen Funken in ihnen zu
schüren".
An
den Namen Therese Brunswick, die sich bemühte, den Geist der
Nation zu zähmen, die Moral zu stärken und den Bildungsstand zu
erhöhen, knüpften Hochachtung und Bewunderung bereits zu ihren
Lebzeiten zahlreiche Worte des Lobes: 'eine der edelsten Damen
Ungarns', 'edelmütige Frau von Moral', 'edle Patronin des Guten
und Schönen', 'Wohltäterin der Armen', 'eine der Mütter des
Landes' usw.
Wer war Therese Brunswick?
Eine
Antwort auf diese Frage versuchte Lajos Kacskovics,
"der ungekrönte gemeine Soldat" der Kleinkinderschule-Bewegung 1865,
vier Jahre nach ihrem Tode, in einer Gedenkrede im Festsaal des
Nationalmuseums zu geben. Er kannte sie noch persönlich. In
seinem Vortrag stellte Kacskovics Parallelen in den
Laufbahnen von "dem größten Ungar" István Széchenyi (1791-1860) und
Therese Brunswick, "des großen Gärtners und der engelhaften Gärtnerin
des Landes" auf, indem er sagte: "diese zwei Boten des
nationalen Genius", "diese zur gleichen Zeit erloschenen Leitsterne"
dienten beide (auch wenn auf unterschiedliche Art und Weise) "dem
gleichen Ziel, der moralischen Erziehung des Landes". Drei Jahre später
veröffentlichte József Rapos einen dicken Band unter dem Titel
"Brunswick Teréz grófhölgynek, a legnagyobb magyar
honleánynak élete és műve..." (Leben und
Werk der großartigsten Tochter Ungarns Therese Brunswick...) 1871
fertigte Zs. Aradi eine Marmorbüste von Therese an. Sie ist die erste,
der die Nation aus öffentlichen Spenden eine Statue errichten ließ.
Wer war Therese Brunswick?
Im
Laufe der Zeit versuchten schon mehrere eine Antwort zu geben. Sie
wurde unter anderem folgendermaßen genannt: eine Gestalt "von
apostolischem Eifer und Bescheidenheit", "berufener
Mensch", "ein Reformer, der das Volk beglückt", "Kinder-Philantrop",
"ruhmvolle ungarische Matrone" usw. Auch hinsichtlich ihrer
pädagogischen Tätigkeit wurde sie mit Lobworten verehrt:
"ein Genius der Erziehung", "Retterin der Nation,
Erzieherin der Nation", "Kleinkindererzieherin aus Gottes Gnade", eine
Erzieherin flammenden Geistes", Priesterin und Apostelin" der
Lehren des berühmten Schweizer Pädagogen H. Pestalozzi. Einer ihrer
Würdiger nannte sie in der Erziehungsgeschichte
zwischen den zwei genialen
Pädagogen Pestalozzi und Friedrich Fröbel: "Das Jahrhundert
des Kindes fängt in Pestalozzis Fußstapfen eigentlich mit Therese
Brunswick an und geht mit Fröbel weiter..."
Die
ungarische Gräfin, die sich selbst "die Freundin der Kinder", nannte,
nahm sich im Frühjahr 1809 einige Monate nach ihrem Besuch bei
Pestalozzi, infolge eines Gotteserlebnisses vor, sich "aller
bedürftigen Kinder", die von der göttlichen Vorsehung zu ihr geführt
werden, anzunehmen. Sie war unter den ersten, die das Kind "entdeckten"
und den körperlichen und seelischen Schutz und Erziehung für äußerst
wichtig hielten.
1828,
zwölf Jahre nach der ersten, von Robert Owen gegründeten 'infant
school' in Schottland, eröffnete Therese Brunswick in Buda (Ofen)
Mitteleuropas erste Kleinkinderschule, deren bald weitere Gründungen
folgten. Ihr Name wurde in Kürze auch im Ausland bekannt. Sie
nahm auch an der Gründungen von Kleinkinderschulen in Wien,
Augsburg, München, Linz teil. Sie setzte sich auch in Deutschland,
Frankreich, in der Schweiz, in Italien und in England für die Erziehung
und die Angelegenheiten des Kleinkinderschutzes ein und wurde somit
ein verbindenes Glied zwischen den einheimischen und den
ausländischen Kleinkinderschulen.
Wer war Therese Brunswick?
Ihre
ausländischen Zeitgenossen wußten es noch sehr gut. 1839 feierte der
Verband der Pariser Kleinkinderschulen Therese. "Es gibt keine andere
Frau, die so viele Kleinkinderschulen gegründet hat, und dies obendrein
dort, wo das Volk als Gegenstand betrachtet wird
" - sagte die
Festrednerin M. Sophie Rey - der nach der Name der Gräfin "schon seit
langem in die Liste der erhabensten Wohltäter der Menschheit
aufgenommen wurde." 1840 war Johann Georg Wirth, der Leiter der
Augsburger Kleinkinderschulen der gleichen Meinung als er in seinem
Buch folgendes schrieb: "Der Name der verdienstvollen und für das Gute
immer gern bereiten Gräfin Therese Brunswick gehört zur Geschichte der
europäischen Kindergärten."
Therese
Brunswick, die Apostolin der Erziehung hält man im Ausland, abgesehen
von einigen seltenen Ausnahmen, längst nicht mehr in Evidenz. Trotz
alledem wird ihr Name heute weltweit erwähnt - zusammen mit dem Namen
Ludwig van Beethoven, im Zusammenhang mit der "Unsterblichen Geliebten"
Mißverständnis,
Klatsch, Sensationslüsterheit, absichtliche Wortverdrehung - all die
Faktoren spielten dabei eine Rolle, das Thereses Person im Zusammenhang
mit diesem Geheimnis überhaupt auftaucht. Um ihre Gestalt herum erhob
die Nachwelt ein ganzes Gerüst von Annahmen, das die wahre Therese
allmählich vollkommen verdeckte. Seit 1957 verfügen wir über
schriftliche Dokumente, wonach von den Geschwistern Brunswick Josephine
die große Liebe Beethovens gewesen sein soll. Dies ist dem breiteren
Publikum kaum bekannt, deshalb hält man Therese heute noch für "die
Unsterbliche Geliebte".
'Gründerin
von Kleinkinderschulen' und 'Beethovens große Liebe'
In Ungarn wird
sie in den meisten Fällen unter diesem Aspekt erwähnt. Ersteres trifft
tatsächlich zu, die um ihre Gestalt aufgestellte Hypothese der
Unsterblichen Geliebten ist aber in der Forschung bereits seit
Jahrzehnten überholt. "Dich gibt es durch mich, weil erblickt habe ich
dich
" - Adys Worte über und zu Léda, die auch von Beethoven stammen
könnten - allerdings in Bezug auf Josephine. Therese wird aber nicht
durch eine kaum mögliche Liebe in die Reihe unserer großen
Persönlichkeiten erhoben!
Wer war Therese Brunswick?
In
ihrer Jugend war sie eine mit musikalischer Begabung gesegnete
Schülerin Beethovens, inspirierte Interpretion und Verbreiterin seiner
Werke. Ebenfalls für ihren Meister hielt sie den weltberühmten
Pädagogen Pestalozzi, der mit seinen Lehrern und seiner liebevollen
Persönlichkeit auf Therese ein Leben lang eine große Wirkung ausübte.
Sicherlich verleiht die Freundschaft dieser zwei namhaften Menschen ihr
einen gewissen Glanz, ihre eigenen hervorragenden Eigenschaften werden
aber dadurch keineswegs blasser. Therese war selber ein charismatisches
Wesen, ihrer großartigen Freunde würdig, ihr wahres Licht erhielt sie
aber weder von Beethoven noch von Pestalozzi, sondern von Gott, der
wichtigsten Lichtquelle!
Im
Laufe der Zeit stellten sich viele die Frage, wieso die gefeierte, mit
künstlerischer Begabung gesegnete Gräfin, die am gesellschaftlichen
Leben Spaß hatte, zur Apostolin der Erziehung und des Kinderschutzes
wurde. Eine befriedigende Antwort sind die meisten Schuldig geblieben.
Dabei wurde diese von der ungarischen Literaturhistorikerin Marianne
Czeke und dem bekannten französichen Schriftssteller Romain Rolland
bereits vor 60 Jahren veröffentlicht: dank der geistiger Widergeburt,
die sie Ende März 1809, nach dem Besuch bei Pestalozzi miterlebte, als
sie sich nach einem inneren Erlebnis endgültig für den Dienst an Gott
verpflichtet hatte. Ihre Berufung leitete sie von Gott her, die
wichtigste Triebfeder in ihrem Leben wurde der Glauben an Gott, die
unerschöpfbare Quelle. Der Schlüssel zu Thereses Persönlichkeit liegt
ausschließlich im Glauben.
Wer war Therese Brunswick?
Brunswick,
Brunsvik, Brunczvik, Brunschwick oder Brunszvik? Der Familienname wurde
in der Vergangenheit in fast 30 unterschiedlichen Formen geschrieben.
Auch Therese gebrauchte ihn nicht konsequent, ab den 1840er Jahren aber
(und das bezeugt auch ihre gedruckte Visitenkarte), schrieb sie ihren
Namen hauptsächlich als Brunszvik', d.h. phonetisch nach der
ungarischen Aussprache, um auch auf diese Weise ihre Zugehörigkeit zu
betonen.
Wer war Therese Brunswick?
Eine
Ungarin', sogar die größte Tochter Ungarns' - ausgerechnet sie, die
nach dem Zeugnis anderer kaum ungarisch konnte? Therese's Muttersprache
war durch die Mutter von deutscher Abstammung (Baronin Anna Seeberg
stammte nämlich von Eltern aus dem Csallóköz und Sieberbürgen)
Deutsche, die Umgangssprache in den Kreisen der Aristokratie war doch
das Französische. Beide Sprachen waren ihr von klein auf vertraut.
Später lernte sie englisch, italienisch und griechisch, mit der
intensiven Beschäftigung der ungarischen Sprache fing sie erst mit 70
Jahren an, obwohl sie sich schon früher dafür Interesse hatte. Das ist
der Grund dafür, daß sie zwar lesen konnte, sprechen aber recht wenig.
Trotz
alledem konnte sich Therese, die sich während des Freiheitskampfes und
auch danach völlig mit der Nation identifizierte (nicht zufällig wurde
auch sie im Prozeß gegen ihre Cousine Blanka Teleki unter Anklage
gestellt), mit Recht für eine Ungarin bekennen. Als sie 1859 mit 84
Jahren nach Dresden reiste, um ihre Cousinen Blanka und Emma Teleki in
der Emigration noch einmal zu sehen, war sie nicht nur der Kleidung
nach eine Ungarin, sondern auch der Gesinnung nach. Mit Adys Worten
wurde sie durch "Schicksal, Absicht, Gelegenheit" eine Ungarin. Deshalb
wurde sie auch von den Zeitgenossen "die größte (großartigste) Tochter
Ungarns" genannt
Wer war Therese Brunswick?
Von
den namhaften Frauengestalten der früheren Zeiten wissen wir manchmal
nur aus fragmentarischen Quellen (Grabinschriften, Briefe, Memoiren
usw.). Therese Brunswick hinterließ demgegenüber ihre Tagebücher aus
fast 50 Jahren
Roman Rolland konnte Ende der 20-er Jahre bei der
Forschung nach der Unsterblichen Geliebten nur mit der größten
Bewunderung und Verehrung über Therese sprechen. Der Schriftssteller,
der sich für die Person Tolstois, Michelangelos, Beethovens
interessierte, traf plötzlich auf einen Schatz' - eine große Seele,
"die durch ihre religiöse und humane Mission ihres großen Freundes
Beethovens und der heiligsten Frauenseelen auf Erden würdig war". Die
"unter anderen Umständen eine Shakespeare-Heldin hätte sein können",
die ähnlich wie Beethoven "ihre Umgebung und ihre Zeit übertraf".
Wer war Therese Brunswick?
R.
Rolland wußte es aufgrund der Tagebücher recht gut. Und das wußte auch
Marianne Czeke, die hervorragendste Expertin von Therese Brunswick, die
zahlreiche Studien über sie veröffentlichte und bei den ins Ungarische
übersetzte Memoiren von Therese mitwirkte. Ihr Verdienst ist in erster
Linie, daß 1938 ein Band aus dem unvergleichlich wertvollen
Tagebuchmaterial erschien. Die Herausgabe des zweiten Bandes scheiterte
an finanziellen Schwierigkeiten. Dann kam der Weltkrieg, 1942 starb
auch Marianne Czeke und die Herausgabe der Tagebücher stagniert - bis
unsere Zeit, dank der Stiftung "Thereses Brunswick Geistiges Erbe"
erschien - unter dem Titel (Magyarország, Veled az Isten!" ("Ungarn,
Gott mit Dir!") - die Tagebuchaufzeihnungen von Therese Brunswick
aus den Jahren 1848/1849."
Wer war Therese Brunswick?
Sie
ist eine nachfolgewürdige Frauengestalt der ungarischen Geschichte,
die engelhafte Gärtnerin der Nation', eine der heiligsten
Frauenseelen', die Bahnbrecherin der Erziehung - das ist das Fazit des
bisher gesagten.
All
dies dürfte als Übertreibung anmuten, sogar mit Recht, denn das
Teréz-Portrait und die allgemeinen Kentnisse sind mit der obigen
Würdigungsfülle bei weitem nicht im Einklang. Die wahre Therese können
wir erst dann richtig kennenlernen, wenn ihr Tagebuchnachlaß Gemeingut
wird. Therese Brunswick, die liebe Unsterbliche' wird dann erst
wahrhaft der Stolz unserer Nation.
Mária Hornyák
Gräfin Therese Brunswick (1775-1861). Zusammengestellt und herausgegeben von Mária HORNYÁK. Martonvásár, 20002.
[Hefte
Őrláng No. 6. Beilage des Blattes Őrláng (Flamme der Obhut) von der
Stiftung "Geistiger Nachlaß der Therese Brunswick"] S. 25-27.